Montag, 27. Oktober 2008

Jeder Zeit ihre Serie

Das Sozialkonstrukt und ich sind vor dem Fernsehgerät nicht wirklich kompatibel. Freitag Abend: Aus lauter Empathie habe ich Nachrichten und Dokus bis zum Erbrechen gesehen, die Pupillen hängen mir schon fast über die Augenfalten, als ich entdecke, dass auf ORF1 „Sex in the City“ läuft. Ich parke mich zum Erschrecken des Sozialkonstrukts auf dem Sender ein: „Mensch, diese Serien haben sich doch alle schon überlebt!", mault er in sein Whiskeyglas.

Scheinbar bin ich im very beginning gelandet: Folge 1, Staffel 1. Fallstudie Elizabeth: Die britische Journalistin lernt in Manhattan einen attraktiven Junggesellen kennen, ein doppelter Glücksgriff, erklärt Carrie´s Stimme aus dem Off, denn der Knabe sei Investmentbanker. Das Sozialkonstrukt brüllt vor Vergnügen: „Sag ich es nicht, das Ding hat sich längst überlebt!“ Elizabeth verbringt Zeit mit dem Banker, lernt seine Familie kennen, als der Knabe dann überraschend die Flucht ergreift und abtaucht. Sie versteht die Welt nicht mehr: „Wenn man sich in England gemeinsam ein Haus ansieht, dann bedeutet das etwas.“ Das Sozialkonstrukt erstickt fast an seinem Laphroaig, was das erst heute bedeuten würde, motzt er, überhaupt in Manhattan und wischt sich eine Lachträne vom Tränensack.

Tja, jeder Zeit ihre Serie. Ein Gast auf „Ottis Schlachthof“ berichtet von dramatischen Szenen auf einer Party. Ein ehemaliger Investmentbanker wollte auf eine Frau Eindruck machen und stellte sich als Sparkassenangestellter vor. Nun stelle sich eine Carrie & Co auf der Jagd nach einem Bausparvertrag oder dessen Besitzer vor. Ich bezweifle, dass dieses Programm abendfüllend gewesen wäre.

Montag, 20. Oktober 2008

Sex im Alter

Wer von Euch hatte in den letzten Tagen guten Sex?" fragte ich die Mädls beim traditionellen Treff diesmal in der Osteria e l´arte, um die Konversation ins Rollen zu bringen. Ich bin mir nicht sicher, ob es an der Bahnhofsbeschallung des Lokals lag, dass ich lange nichts hörte. Sechs Augenpaare blickten sehr langsam von den Speisekarten auf, und nur Olga quietschte nach einer künstlerischen Pause fröhlich: "Ich hatte SÄÄÄÄÄHR guten Sex."

Sylvia lachte herzhaft auf, wie es so ihre Art ist, und gab einen Kommentar ab, den ich aufgrund der Lärmkulisse definitiv nicht verstand. Nur Lilly, die ihr gegenübersaß, reichte ihr in stiller Übereinkunft die Hand über den Tisch. Der Händedruck wirkte wie ein Vertragsabschluss auf dem Pferdemarkt, konnte jedoch im Kontext nur als Treueschwur unter sexfreien Schwestern interpretiert werden. Susanne und Sissy schauten stur auf ihre Speisekarten, als ginge es um einen etruskischen Text, der so schnell wie möglich entziffert werden musste, um das Leben einer ganzen Horde von Entführungsopfern zu retten.

Enikö, Mutter eines einjährigen Verdauungsmonsters und mit 40- die Jüngste in unserer Runde, ging in medias res: "Ich nehme Lasagne und Kutteln. Warum habt Ihr keinen Sex?" "Wir sind alt, Enikö", versuchte ich es sanft. Olga riss die Augen auf, als hätte ich sie persönlich beleidigt: "Sex ist wie Essen oder Schlafen, jeder braucht das, egal wie alt er ist".
Olga hat als Löwin mit Aszendent Skorpion dieselbe astrologische Konstellation wie meine Mutter und scheint mein Karma zu sein. Im Gegensatz zu meiner Mutter entkomme ich ihr nämlich nicht. "Meine Mutter geht auf die 70 zu, trägt orthopädische Gesundheitsschuhe und die einzige Konstante in ihrem Leben ist Sex", blökte ich vor mich hin und bestellte bei der Kellnerin, die nach gescheiterter Sozialwissenschafterin aussah und sich entsprechend bewegte, noch einen Krug Prosecco.

"Mit Gesundheitsschuhen kann man noch Sex haben?", Lilly begann sich zu regen. Sie witterte wohl Morgenluft, nachdem sie seit Monaten wegen eines Fußproblems nicht einmal High Heels für Anfängerinnen tragen konnte. "Zumindest meine Mutter kann", schränkte ich meine praktischen Erfahrungen zu dem Thema ein, und Lilly ging nach draußen, um zu telefonieren. "Wie alt ist der Lover deiner Mutter eigentlich", wollte Sylvia wissen und ich zählte an meinen krummen Fingern die Jahrzehnte ab, die das Verhältnis nun bereits andauerte. "Der muss jetzt gute 80 sein", sagte ich, und Olga erstickte fast an ihrem Bissen osso buco. "Iiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiii", krähte sie angewidert, nachdem sie wieder Luft bekam.

Ich bin schon neugierig, welche Mittel und Wege Olga in den nächsten uns hoffentlich noch verbleibenden Jahrzehnten finden wird, um einen Achtzigjährigen in ihrem Bett zu verhindern. Das Thema werde ich bei unserem nächsten Treffen vertiefen müssen, beschloss ich, nachdem Jungmutter Enikö nach Verlassen der Enoteca einen Kreislaufkollaps erlitten hatte. Der mittelattraktive Notarzt kümmerte sich rührend um sie, das lässt mich auch für Olga hoffen.

Sonntag, 12. Oktober 2008

Vom kleinen und vom grossen Glück

Selten zuvor in meinen bisherigen 40+ Jahren habe ich den langen Abschied von den letzten Sonnenstrahlen eines Sommers so intensiv empfunden wie dieser Tage auf dem Naschmarkt oder gerade jetzt am PC. Von nun an geht es definitiv bergab, bin ich mir sicher. Ich spüre sie schon heraufdräuen, die graue Depression, die mich mit Beginn der Winterzeit regelmäßig befällt und ihren Höhepunkt finden wird, wenn die Händler wie immer viel zu früh ihre Adventkränze aufs regennasse Trottoir legen. Daher sonnenhungrige Weiberrunde gestern am Naschmarkt: vier Schwestern 40+ und geschätzte 16 Spritzer und Sturm.

„Ich habe immer davon geträumt, lesend im Wohnzimmer zu sitzen, mit einem Partner, der ein Zimmer weiter dasselbe tut“, sinniert Journalistenkollegin Gitte beim dritten Spritzer, „und dann kommt er, und fragt, ob er mir etwas Interessantes vorlesen dürfe. Oder ich frage ihn, ob ich ihm ein paar Zeilen vorlesen könne.“ Dass sich der Knabe im Kabinett natürlich nicht die Autorevue oder die Bedienungsanleitung eines neuen Flat Screens reinzieht, sondern mindestens Pascal Mercier´s Nachtzug nach Lissabon, versteht sich an dieser Stelle von selbst.

Was haben wir uns nicht alles erträumt oder erhofft von unseren Partnerschaften, als wir außer biegsamen Leibern zumindest rein rechnerisch auch noch die Chance auf die goldene Hochzeit hatten? Da wären einmal die längst entwichenen Tagträume von blühenden Gärten und einer Kinderschar; die Vorstellung vom Männchen, das sich ab und an zu einem Event mitschleppen lässt und dort zumindest aus Liebe gute Figur und Konversation macht; nicht zu vergessen die ewige Vision vom Traummann, der in der Küche im Rhythmus zu Paolo Conte gekonnt frische Kräuter hackt, liebevoll sein Schmorgut betrachtet und trotzdem zwischen Charlotten und Karkassen noch Zeit findet, frau ein Glas Rotwein einzuschenken und sich ihre Ergüsse anzuhören.

Steffi hat den erträumten Meisterkoch gefunden, der mit Leidenschaft aufwändige 4-Gang-Menüs zaubert – allerdings nicht nur für sie, sondern auch für die eigene verzogene Tochter und deren stets anwesenden postpubertären Freunde und Freundinnen, allesamt Jobhopper. Das Völkchen verwandelt die Wohnung des Meisterkochs mit seinen Joints und Zigaretten in eine kommunenähnliche Opiumhöhle, in der Steffi nicht nächtigen kann, ohne dass des Meisterkochs Töchterlein nächtens in das Schlafzimmer kracht wie eine Kurzstreckenrakete, um in der Schmutzwäsche nach irgendwelchen Leggings zu kramen oder Papa um Geld zu bitten.

Gitte fand ihren Vorleser mit 40+ tatsächlich – und hat gestern nach kurzer Beziehung mit ihm Schluss gemacht, weil frau vom Vorlesen und der Erfüllung romantischer Mädchenträume wenig hat, wenn sie wie ein Stück Dreck behandelt wird und langsam aber sicher ihr Selbstwertgefühl verliert. „Wenn mich Gerhard noch will, heirate ich ihn“, beschloss Gitte nach dem vierten Spritzer. Gerhard war ihr Ex, den sie nach acht gemeinsamen Jahren verlassen hatte, weil er zwar gut zu ihr war, ihr aber nicht vorgelesen sondern mit ihr im besten Fall gewürfelt hatte. Sehr verkürzt formuliert.

Wenn sie heute ihr kleines Glück zurückbekäme, würde sie das wohl als großes Glück empfinden. Wobei natürlich festzuhalten bleibt: Nur da man langsam auf die Menopause oder gar die Rente zusteuert, bedeutet das natürlich noch lange nicht, dass frau nicht weiter auf das große Glück hoffen darf oder sogar muss, und es sich natürlich auch greifen muss, wenn es ihr vor der Nase baumelt. Doch oft entpuppt sich das große Glück nur als intensive Erfahrung mit kurzem Ablaufdatum. Der Vorleser wäre das ideale Nebengeräusch gewesen, eine Affaire, nach deren automatischem Ende Gitte entspannt an das heimische Würfelbrett hätte zurückkehren können.

Genauso entspannt wie ich es heute bin, da meine Vision von der Kinderschar mit dazupassendem Männchen nicht Realität wurde. Ein geerbtes Monster allein treibt mich heute schon täglich an den Rand eines Nervenzusammenbruchs, eine Monsterschar hätte inzwischen aus mir eine Kindsmörderin oder zumindest Psychiatriepatientin werden lassen. Und der Umstand, dass das Sozialkonstrukt Events und VIPs auch fünfzehn Jahre später als im besten Fall vernachlässigbar betrachtet, ist inzwischen als großer Glücksfall zu klassifizieren. Denn entsprechende Zusammenrottungen verursachen mir inzwischen im günstigsten Fall Juckreiz. Was täte ich heute mit einem Partytiger? Ich will es mir gar nicht vorstellen, hab ich ein Glück.

Donnerstag, 9. Oktober 2008

Taschen-Tricks

„Was sagt eine Handtasche über ihre Trägerin aus?“, frage ich mich und google, weil man heute ja alles googelt, was einem so im Kopf ´rumkugelt. Statussymbol lese ich da, Spiegel des weiblichen Lebensgefühls und der Psyche, etc. pp. In meinem Fall sagt meine Handtasche wohl am ehesten etwas über den Zustand meiner Wirbelsäule aus, der sich dank altersbedingter Abnützungserscheinungen zusehends verschlechtert.

Die Riesentasche, in der man den Haustorschlüssel im günstigsten Fall nach viertelstündigem Kramen endlich grapscht, gehöre einer chaotischen, aber auch spontanen und flexiblen Frau, die für jede Eventualität gewappnet sein will, wird der Psychologe Alfred Gebert in der Online-Ausgabe von „Bild der Frau“ zitiert. Solche Riesenbeutel trage ich seit gut und gern zehn Jahren nicht mehr, da mir das Gewicht auf der rechten Schulter Verspannungen und entsprechende Schmerzen verursacht. Abgesehen davon, dass es im Leben einer Frau 40+ kaum noch Eventualitäten gibt. Weniger chaotisch macht mich der Beutelverzicht aber noch lange nicht.

Die klassische Oma-Tasche mit kurzem Handgriff, nicht wirklich ganz klein aber doch nicht groß, wirkte auf mich über Jahrzehnte schlimmer als jeder Liebestöter. Inzwischen trage ich mein Gepäck meinem Rücken zu Liebe auch in der Hand und beschränke mich auf das Wesentliche. Gezwungener Maßen. Obwohl ich bekanntlich Champagnerempfängen und anderen Stehparties aus dem Weg gehe wie mein zwölfjähriges Monster der Dusche, konnte ich der Einladung von artup am Bauernmarkt (Direktverkauf österreichischer DesignerInnen, quasi Mode-ab-Hof, Anm.) zur Präsentationen der so genannten French Bag nicht widerstehen

Die wirklich edel gearbeiteten Taschen der Designerin Véronique M. Martineau haben die Größe einer 250g-Packung Butter und werden am Hand- oder Fußgelenk getragen. Die ideale Tasche für das nicht mehr junge Skelett, wobei Raucherinnen empfohlen werden sollte, zwei Taschen zu tragen – eine am Handgelenk und eine am Knöchel – sofern sie ihr mobile phone auch dabei haben wollen.

Der Heuler des Abends: Eine Schwester 40++ unter den Gästen erzählte allen Ernstes, ihre Hausbank hätte ihr mit faulen Ausreden, in Wahrheit aber wegen der globalen Finanzkrise, die Auszahlung ihres Sparguthabens verweigert. Als Insiderin des Naschmarktes und all der hier verkehrenden Adaxln, Pülchern und Schnösel bin ich ja einiges an „Erklärungen“ gewohnt, wie und wo und vor allem warum x-stellige Vermögen innerhalb kürzester Zeit Schall und Rauch wurden. Die aktuelle Bankentragödie wird nicht nur real existierende Vermögen schmelzen lassen wie die Sonne einst Butter. Gott schütze nicht nur Island.

Mittwoch, 8. Oktober 2008

Nackte Tatsachen

Heute hatte ich einen guten Morgen. Keinen von der Sorte, die mit pelziger Zunge und schwerem Schädel beginnen. Wobei mich meine altersbedingte Vernunft zunehmend vor diesem Zustand bewahrt, da mir die darauf folgende mindestens dreitägige Rekonvaleszenz ein zu hoher Preis geworden ist für inhaltsloses Gequatsche und Gekichere sowie weinselige Verbrüderung mit Menschen, deren IQ numerisch nicht selten unter dem Preis von vier weißen Spritzern liegt. An diesem heutigen guten Morgen begrüßte mich an meiner Kaffeemaschine ein Sonnenstrahl und trieb mich hinaus zu einem Morgenspaziergang auf den Naschmarkt, bevor die zu erwartenden Wolken den Rest des Tages grau werden lassen könnten.

Vor acht Uhr früh stolpert man hier über keine Touristen, die die Gänge des Marktes in Viererreihen (nebeneinander!) verstopfen und über keine Ritualisten, die grüppchenweise mit dem obligaten Weinglas in der Hand dieselbe hemmende Wirkung auf ein Fortkommen haben. Am Morgen begrüßt mich auf dem Platzl Nadja, während sie ihre Zuckerstreuer auf den Tischen positioniert wie Zinnsoldaten. Der Sushi-Meister von Kojiro rollt seine Karre freundlich lächelnd durch die Gegend, und Arbeitstier Georg Ruziczka schleppt Kartons von Flaschen exzellenten Inhalts, der ab dem späten Vormittag von Touristen wie Ritualisten sukzessive vernichtet wird.

An fast jedem Morgen eines Werktages, egal ob es ein guter oder schlechter Morgen ist, finde ich dann ab neun Uhr die gewohnten e-mails befreundeter Schreibtischtäter: Sprüche, Witze, Bilder zum Tage, wie in rot und gold getauchte Herbstlandschaften verpackt in Vivaldi, Palin´s latest Schwachsinnsrülpser und Aufnahmen textilfreier Jünglinge, deren in Öl gebeizte Oberkörper und Lenden mich im besten Fall an Grillgut erinnern. Meisterin im Jingele-Verteilen ist meine liebe Sylvia, eine gestandene Unternehmerin, die geschätzte dreißig Jahre geackert hat wie ein Pferd und noch genug Power hat, um elektronisch Jingele an ihre Liebsten zu verteilen.

Ich persönlich habe nie verstanden, was Männer an den nach ihnen benannten Magazinen respektive am Begucken der darin entblätterten weiblichen Körpern finden, auch wenn ich mich niemals aktiv an dem Aufschrei über die Entwürdigung der Frau beteiligt habe. So liegt es mir auch fern, über die Entwürdigung der Jingele zu räsonieren. Aber ich frage mich schon, was es einer Schwester 40+ bringt, dieses Grillgut zu betrachten. Distributionswunder Sylvia meint, sie wolle ja nichts von den Jungs, aber man gehe doch auch ins Museum, um sich Bilder oder etwas Nettes anzusehen. Van Gogh, um ein aktuelles Beispiel zu nennen, dreht sich wohl in Auvers-sur-Oise um die eigene Achse oder schnippselt vor Verzweiflung am zweiten Ohr rum.

Ich persönlich bekomme statt Sabber ja Muttergefühle oder gar Mitleid, wenn ich so ein armes Wesen hingestreckt sehe. Erotik bedinge sich, formulierte meine körperlich wie geistig sehr aktive Tonja so trefflich, durch die A-n-d-e-u-t-u-n-g. Andeutung war noch nie Olgas Sache, wahrscheinlich kann sie daher meine Sinnsuche nicht nachvollziehen. Um nicht als klimakterisches Monster durchzugehen, erklärte sie letztens ihre Begeisterung für entsprechende Aufnahmen etwas lauter als notwendig damit, dass das ja nur „was für die Augen ist und nicht für die Hände“. Das stimmt mich dann doch nachdenklich. Wenn ich das juvenile Muskelgewebe anziehend fände, würde ich alles daran setzen, um es mir tatsächlich zu krallen. Unabhängig von meinem eigenen Alter. Wie ja schon Contessa J. schrieb, hätten auch ältere Semester große Anziehungskraft auf manche junge Gesellen (Von denen etliche, wie die Contessa aus ihrem Gewerbe plauderte, für eine überwutzelte Bettgespielin auch ganz ordentlich blechen würden). Womit das Thema Fleischbeschau bist auf Weiteres Mysterium bleiben muss.

Donnerstag, 2. Oktober 2008

Spuren der Vergangenheit

Es ist immer wieder beunruhigend, welche Beschäftigung ich in der Lage bin zu finden, nur um geistig anstrengende Arbeit weiter auf die lange Bank schieben zu können. Wenn gar nichts mehr hilft, schütze ich einen Putzanfall vor. So geschehen dieser Tage, als ich mich in der Not über mein Badezimmer hermachte.

Ich entsorgte Kosmetika im Wert eines mittleren Monatsgehalts. Keine Ahnung, welcher Teufel mich einst geritten hatte, Bauchmasken zu kaufen. Damals hatte ich noch gar keinen Bauch, zumindest keinen, der nach chemischen Eingriffen verlangt hätte. Die Sachets waren von einer hauchzarten Patina überzogen, genauso wie die Sachets, in denen irgendwelche Pads gegen Stirnfalten luftdicht verpackt vor sich hin litten. Ich liege nie in der Sonne, verfügte aber über Sonnenschutzmittel und After-Sun-Klumpert, von dem – wenn das Zeug noch nicht gestunken hätte – eine mitgliederstarke Girlie-Band lange hätte profitieren können.

Und dann entdeckte ich im letzten Winkel eines Regals tatsächlich ein paar gewellte Haarnadeln. Ich kam mir vor wie eine Archäologin, die einen Wikingerschatz birgt. Die Dinger hatten wohl genauso lange vergessen im Schrank gelegen, wie mein Kopf gebraucht hatte, um den Großteil seiner Haare zu verlieren. In grauer Vorzeit, als mein Gesicht noch jung war und auf meiner Nase nicht ständig eine Brille hing, hielten die Dinger meine Haare gelegentlich hoch gesteckt. Vermutlich zerstört die Natur den Hormonhaushalt und die Haare einer alternden Mascha zum Wohle der Allgemeinheit, um dieser den Anblick einer ältlichen Gouvernante zu ersparen.

Quasi als falsch verstandene ausgleichende Gerechtigkeit sprießen Haare oder besser gesagt Borsten an Stellen, an denen man darauf verzichten könnte. Zum Beispiel aus meinem farblosen Muttermal am Kinn, das einmal ein klassischer Schönheitsfleck war und wie ein unsichtbares Band der Freundschaft zwischen Eva Maria Klinger und mir wehte.

Ich werde mein Badezimmer künftig monatlich entrümpeln, um nicht an bessere Zeiten erinnert zu werden. Denn glücklich ist ja angeblich, wer vergisst, was nicht mehr zu ändern ist. Nicht, dass ich irgendwann über Zahnseide stolpere und …