Sonntag, 1. Juni 2008

Sex mit dem Ex

Nur Kohl schmeckt aufgewärmt

"Mascha Bronsky, dein Körper schreit nach Erholung. Knall dich aufs Sofa, trink eine Jumbotasse Nerventee und lies ein gutes Buch", flüsterte meine innere Stimme. Ich hasste diese vernünftige Seite an mir, weil sie mich daran erinnerte, dass ich nicht mehr 28 war. Also hieß es, sie zu ignorieren. Ich gestand meinem Körper lediglich eine heiße Dusche zu und eine dieser Pasten der chemischen Industrie, die einem angeblich innerhalb von dreißig Sekunden strahlendes Aussehen schenken. Dann trat ich den Gang zum wöchentlichen Stammtisch mit meinen Freundinnen an. Heute galt es, Steffi mit Verständnis und guten Ratschlägen beizustehen. Steffi, nicht mehr frisch geschweige denn saftig, aber nach wie vor steirisch, hatte per SMS-Notruf Gefahr in Verzug angekündigt.

In Krisensituationen, das weiß jede Frau 40+, ist der Generalstab des Bundesheeres eine lahme Ente im Vergleich zur High-Heel-Parade der Schwestern. Luxusgeschöpf Lilly überrannte mich auf dem Weg zu unserem Stammtisch mit wehendem Rotschopf, das Headset glühte an ihrem Ohr, und der Ton ihrer Stimme ließ nichts Gutes ahnen für den Knaben am anderen Ende der Leitung. Wer hatte eigentlich den Unsinn verbreitet, weibliche Chefs seien empathisch und verständnisvoll? Unsere pensionierte Susanne, die schon wieder mindestens zehn Jahre jünger aussah und damit bewies, dass sie nicht nur bei Geldanlagen sondern auch bei der Wahl von Chirurgen ein goldenes Händchen hatte, war ausnahmsweise schon einmal schon vor uns da und tätschelte bereits fürsorglich Steffis Unterarm. "Was ist Sache", wollte Lilly wissen, als sie sich eine Fingernagellänge vor mir an unserem angestammten Stehtisch einbremste.

"Ich hab es schon wieder getan", bellte Steffi, denn ihre steirischen Vokale hatten in 25 Jahren Wiener Exil im besten Fall Feintuning abbekommen "Willst du erklären, du machst Terror, weil du wieder einen sündteuren Desginerfetzen gekauft hast, obwohl er an dir hängt wie ein Bußgewand?" fragte ich ungläubig. Die vernünftige Seite in mir bildete sich ein, den köstlichen Lavendelduft zu riechen, den mein Nerventee verströmte hätte. Steffi schluckte schwer und Susanne sprang mütterlich ein: "Sie war mit Roger Abend essen." "Gebt mir Alkohol", seufzte ich, denn ich kannte Susanne als den personifizierten Euphemismus.

Roger war Steffis Ex, dem sie einmal die wahre Liebe hatte zeigen wollen. Erfolglos. Er war ein groß gewachsener Marketing-Guru ohne Bauchansatz und mit der Art von scharfen Falten um die Mundpartie, die ihn für viele unwiderstehlich raubeinig aussehen ließen. Meiner Meinung nach waren sie eher Anzeichen für eine ernsthafte Magenerkrankung. Roger hatte Steffi mit dem gemeinsamen Kind sitzen lassen hatte, um seine Potenz ungestraft unter internationale Konkurrenz stellen zu können. In unregelmäßigen Abständen hielt auch Steffi als Preisrichterin her, was sie jedes Mal in eine Depression riss und unsere Freundschaft kurzfristig in die Krise.

"Du kennst meine Meinung, wonach man im besten Fall Kohl aufwärmt, und selbst das führt zu Nährstoffverlust", maulte ich. "Ist doch nichts Besonderes", relativierte Lilly, "jede vierte Frau hat mal Sex mit dem Ex, hab ich irgendwo gelesen". "Ja, und jede vierte Frau ist häuslicher Gewalt ausgesetzt. Seit wann haben Statistiken Entschuldigungscharakter?", wollte ich wissen. Wenn all jene Schwestern, die Sex mit dem Ex hatten, danach regelmäßig so erbarmungswürdig aussahen wie Steffi, konnte ich dieser Praxis nur wenig abgewinnen. "Aber was ist gegen erfahrungsmäßig guten Sex ohne Verpflichtungen wie einen Haufen Bügelwäsche einzuwenden?" insistierte Lilly. "Rein gar nichts", gab ich zu, "so lange die Turnübung Steffi gut tut und für ordentliche Durchblutung ihrer Oberhaut sorgt. Aber was sieht an Steffi abgesehen von ihrer Couperose und ihren verheulten Augen rosig aus?"

"Steffi liebt Roger einfach noch zu sehr", soufflierte die gute Seele Susanne. Ich persönlich war ja der Meinung, dass wir alle vor gut einem guten Vierteljahrhundert das Alter hinter uns gelassen hatten, in dem frau Sex mit Liebe verwechselt, biss mir aber kurz in die spröde Lippe und fragte dann bloß: "Steffi, glaubst du denn, dass Roger nach einem Eurer so genannten Abendessen reumütig zu dir zurückkehrt, dir ewige Liebe schwört und von jedem außerhäuslichen schlanken, straffen weiblichen Körper zurückschreckt wie der Teufel vor dem Weihwasser?" "Nein, natürlich nicht", trotze Steffi, "es soll ihm nur klar werden, dass er die Frau seines Lebens verspielt hat, verzweifelt meine Knie umklammern und mich unter Tränen anflehen, zu ihm zurückzukehren." "Und dann sinkt er in deine verzeihenden Arme, drückt sein schütteres Haupt an deinen schlaffen Busen und lässt sich von dir in den Schlaf summen?", zischte ich, und der Stiel meines Proseccoglases drohte unter dem Krafteinfluss meiner verkrampften Hand zu zerbersten.

"Naaaaaaaaaaa!", blökte Steffi mit ihrem Kernölcharme, "dann schau ich ihn nur verächtlich an, erkläre ihm, er sei lediglich ein Lustobjekt gewesen und lass ihn auf ewig verzweifelt zurück". Die Vision von Rache war also das Motiv, fiel es mir wie Schuppen vor Augen, wenn das Szenario auch einen schwerwiegenden dramaturgischen Fehler aufwies. "Steffi, du kannst Roger nicht zurücklassen. Er liegt regelmäßig in deinem Bett, weil bei ihm zu Hause bereits deine Nachfolgerin residiert. Oder willst du mal schnell zu deiner Nachbarin rüber, bis er sich vertschüsst hat?" Steffi spitzte die Lippen und gab vor nachzudenken. Geistesblitze waren erfahrungsgemäß keine zu erwarten und ich ging in Gedanken schon einmal die mir bekannten Therapeuten in der Stadt durch.