Donnerstag, 23. Juni 2011

Sehenden Auges in ein blindes Datum...

"Ich flehe dich an, gib dem Seelenklempner eine Chance“, wimmerte Gitte. Seitdem ihr fünfzigster Geburtstag in gnadenlose Planungsnähe gerückt ist, scheint ihr die Vorstellung einer mannlosen Freundin 40+ noch schlimmer als die eines missglückten Face-Liftings. Was natürlich auch für sie selbst gilt, weshalb sie mal wieder einen Versuch gestartet hat, dem mickrigen Advokaten, der in den Sechziger Jahren in einem SW-Film als DDR-Parteisekretär ganz gute Figur gemacht hätte, wieder einmal eine Chance zu geben. Ich sehe dem zu erwartenden missglückten Ende dieses Experiments in Folge mit Gelassenheit und zwei gekühlten Flaschen Prosecco entgegen.

Der Seelenklempner war mir von meiner böhmischen Freundin Mischko via SMS angetragen worden: Arzt, geschieden, 47, attraktiv, groß, schlank, volles Haar, Schnorrer. Sie hatte ihn bei einer ihrer ruhelosen Barwanderungen auf der Suche nach einem flüchtigen Sexualkontakt kennengelernt. Wahrscheinlich war er ihrem altösterreichischen Charme nicht erlegen, also musste ich den Knaben unbedingt kennenlernen. Da ich mir langsam wirklich wie ein Alien vorkomme, da ich im Gegensatz zu den meisten meiner Freundinnen nicht alle drei Tage mit einem Ex- oder zukünftigen oder Vielleicht-doch-irgendwann-mal- oder zumindest Teilzeit-Männchen unterwegs war, stimmte ich geschwächt zu. Dem ersten Blind Date meines Lebens, und dem bestimmt letzten.

Mischko scheint alt geworden zu sein respektive ihre Sehkraft schwach. Der Knabe war gerade einmal eine Stirnbreit größer als ich und so attraktiv wie ein Ausverkaufsangebot bei Schlecker oder sein Bauchfett. Um sein Brillenmodell würde ihn Elton John beneiden, und sein Friseur verdiente eine 2-jährige Haftstrafe. Ohne Bewährung. Der einzige Punkt der Beschreibung, der ins Schwarze traf, war seine ausgeprägte Sparsamkeit. Die Kellnerin in dem Café am Graben war kurz vor dem Nervenzusammenbruch, als der Seelenklempner sein siebtes Glas Wasser zu seiner längst verdunsteten Melange bestellte, während ich flott den zweiten Aperolspritzer geleert hatte. „Halten Sie durch!“, zischte ich der Kellnerin zu, „Ich tu es auch.“

Einen Mai Tai später gestand er mir ein passives Hobby. Ich befürchtete schon, er würde beginnen, über die Qualität neunschwänziger Peitschen zu referieren, aber er hatte lediglich Musikhören im Sinn. Ich hing an seinen Lippen, als er mir umständlich von den technischen Macken seines gebrauchten Toyota und den technischen Raffinessen seiner Stereoanlage erzählte. Einen Daiquiri später litt ich mit seinem Patienten, der blaue Autos zählte und in der Häufung derselben auf der Strecke zwischen Wohnung und Analyse einen Anschlag auf seine Person sah. Kurz vor dem Zahlen – getrennte Rechnung, hoffentlich gute Freunde – wusste ich, dass er mit seiner Lieblingspatientin nicht deshalb Probleme hatte, weil sie nicht mit einer Bibel masturbierte, das wäre völlig normal, sondern weil sie völlig u-n-s-t-r-u-k-t-u-r-i-e-r-t über ihre Probleme sprach.

Am nächsten Tag wollte er telefonisch von mir wissen, wie er günstig an Karten für die Stadthalle käme. Er selbst hat keinen PC, weil ihn der Lärm desselben krank macht. Das Konzert findet im November statt und er meinte, wenn er die Karten jetzt kaufen würde, wären sie sicher günstiger. Es kostete mich zehn Minuten zu erklären, dass die Stadthalle keine Billigfluglinie sei. Für das Konzert gibt es nur zwei Ticketkategorien, A (Stehplatz) zu 38 und R (Rollstuhlfahrer) zu 25 Euro. Ich empfahl ihm aus Kostengründen, sich den Rollstuhl eines Patienten zu leihen. Glücklich war er, als ich ihm vorlas, dass das Ticket auch als Fahrschein der Wiener Linien galt. Ich weiß, warum ich keinen Sozialberuf habe… Aber sage niemand, er hätte seine Chance nicht gehabt.

(Fortsetzung folgt hoffentlich nicht.)