Mittwoch, 31. Dezember 2008

Seriös anfangen und esoterisch enden

„Hallo, Mascha!“, quietschte die Blondine hinter der Bar in der Nachbarschaft: „Was trinkst du?“ „Prosecco, wie fast immer!“, sagte ich aus Unsicherheit vielleicht etwas zu laut und lässig mit unverbindlichem Lächeln und ließ mich von der Heiterkeitskanone Wange-links-Wange-rechts küssen. „Gott, wer ist das…?“, dachte ich verzweifelt. Ich wusste, ich kannte das Blondchen, doch woher? Und verdammt, wie hieß die noch mal? Verzweifelt checkte ich die in den hintersten Ganglien meiner Festplatte gespeicherte Matrix sämtlicher Wasserstoffblondinen der letzten 40+ Jahre, während ich mich betont langsam aus meiner Winteradjustierung schälte. Mir dämmerte, dass ich das Blondchen nicht erkannte, da sie an der falschen Seite der Bar stand. Da ich mir leider jeden Mist merke, fiel mir schließlich ein, dass die Bardame eigentlich Kontakterin war und heute ohne die übliche Kriegsbemalung und männliche Anhängsel im Dreiteiler (Kunden, Anm.) unterwegs war.

Schnell fand ich also meine Fassung wieder und konnte auf freundlich-interessiert tun: „Was machst duuuuuuuu denn hier?“ Kurzfassung: Sie hatte auf den Kontakter-Job gegackt, sie hätte genug von den oberflächlichen Dumpfbacken in der Branche. Geld mache nicht glücklich, wenn es nur in Koalition mit einem Burnout daherkäme. Jetzt helfe sie hier mal aus, um zu üben, vielleicht würde sie in die Gastronomie gehen. Keine Ahnung, sie orientiere sich neu, das Leben sei schön. Sie würde sich jetzt auf das Wesentliche konzentrieren. Ob die Gastronomie Blondchens Blick auf das Wesentliche tatsächlich schärfen hilft, bezweifle ich zwar mal vorsichtig, aber unter Abzug aller Taxen: Willkommen im Klub!

Seriös anfangen und esoterisch enden – so brachte Astrid die Karrieren von Frauen 40+ per Mail an Mascha perfekt auf den Punk. Als ehemalige Marketinglady und nunmehrige Yogalehrerin und systemische Familienaufstellerin sieht sie sich selbst für das Phänomen repräsentativ. Chic segelte sie im Kreis ihrer Freundinnen aus der PR-Branche auf ein niedliches Burnout zu, und scheinbar dürften dann die Schwestern nach dem Prinzip „10 kleine Negerlein“ nach und nach wie die Ratten das sinkende Schiff verlassen haben, um etwas Handfestes zu machen, wie etwa Massieren. Von der Presseaussendung über haarwuchshemmendes Deodorant zum Musculus deltoideus.

Drehen wir das Rad der Zeit versuchsweise zwanzig Jahre zurück. Die meisten von uns waren jung, chic, schlank und hatten einen Job, mit dem Oma beim Friseur angeben konnte. Uns schienen glänzende Zukunftsaussichten sicher, tatsächlich ernteten wir matte Nachhaltigkeit. Die nicht seinsgeliebten Schwestern unter uns rackerten um Anerkennung als Liebesersatz, ließen sich die begacktesten Dienste umhängen und freuten sich über jeden kleinen Karriereschritt mehr als über ordentliche Blutwerte. Der erste Kunden-/Presse- oder Künstlerlunch war sensationell, die erste Dienstreise in der Business-Class wow. Frau leistete sich die ersten sündhaft teuren Treter und den Gucci-, Prada- oder LV-Beutel.

Neben Business-Look ging der Großteil der Einnahmen darauf drauf, die Bude von einer armen Seele putzen zu lassen, da einem selbst die Zeit dazu fehlte, und auf Essen in ordentlichen Lokalen, denn der Job nahm keine Rücksicht auf die Öffnungszeiten der Supermärkte. Und immer war da das Gefühl, dass noch etwas kommen würde, etwas Sensationelles passieren würde, die ultimative Herausforderung wartete. Irgendwo. Zwanzig Jahre später weiß man, dass im angestammten Job nichts Aufregenderes mehr wartet als eine junge Kollegin, die sich genauso die Hacken abrennt wie wir damals und das mit mehr Elan als eine inzwischen überwutzelte Schwester 40+. Und der Überbau macht es dem jungen Gemüse wie auch uns damals leicht, da man weniger mit Wissen und Erfahrung glänzen muss, sondern hauptsächlich mit Körpereinsatz und Schlafentzug zum Ziel kommt.

Und erst dann kommt frau darauf, dass sie eigentlich ein Vierteljahrhundert falsch investiert hat. Wenn sich dieses Gefühl dann mit dem auf dieser Seite hinlänglich beschriebenen Anblick eines alternden Leibes paart, ist Feuer am Dach. Dann werden die inneren Werte entdeckt, das soziale Gewissen oder die Liebe zur Erdscholle. Andrea beispielsweise produziert jetzt Kräuter- und Aromaprodukte, mailt sie, und begann mit einer Ausbildung zur Klangmasseuse. Ob sie dabei jaulen muss oder der Kunde klingt, entzieht sich (noch) meiner Kenntnis.

Eigentlich könnte die Geschichte jetzt hier enden, mit lauter glücklichen faltigen Schwestern, die Klangschüsseln im Garten aufstellen, ihre spät geborenen Kinder groß ziehen, selbst produzierte Marmeladen verklopfen oder ihre Kunden aus einem missglückten Lotussitz entfalten. Was mich an dieser Stelle lediglich interessiert, was machen eigentlich frustrierte Männchen? Oder gibt es die nicht? Wo ist er, der inzwischen glücklich verarmte Antiquar, der ausgeglichene Restaurator von VW-Käfern, der eigentlich BWL studiert hat und deshalb für einen Käfer ein Jahr braucht? Wo braut ein Männchen Bier im Keller, ganz ohne blackberry? Fragen über Fragen, Antworten willkommen.

Sonntag, 14. Dezember 2008

Fermete Lifting und Vogel Strauss-Politik

Ein berüchtigtes Vorzimmerkarzinom in meiner ehemaligen Redaktion war vor vielen Jahren regelmäßig kurz davor, mir ihren spitzen Brieföffner in den Rücken zu wuchten, wenn ich über ein, zwei Kilo zu viel jammerte, während sie wechselbedingt „aufging wie ein Germteig“. Für mein Gewicht von damals plus fünf Kilo wäre ich heute bereit zu töten. Ehrlich. Wenn ich damals, quasi in hormonell guten Zeiten, mit tollen Frauen zusammen saß, die ein paar Jahre mehr am Busen hatten als ich, meinte ich als damals Unbeteiligte in den Gesprächen, Falten wären doch ein positives Zeichen dafür, dass man gelebt hätte. Falten würden nicht alt machen, sondern im Gegenteil nur interessant. Ich erntete dafür meist dankbare Blicke. Wenn mir das heute ein straffes Mädchen sagen würde, würde ich ihr eine knallen. Befürchte ich.

Astrid, selbst ernanntes Landei 40+, mailte mir nach Lektüre der "Chemischen Experimente..." und der Vorstellung meiner ledrigen Hand : „Die Erkenntnis, dass ALLES anders (und definitiv nicht besser) aussieht, als man es Jahre lang gewohnt ist, ist wahrhaftig ein Schlag in die Magengrube. Besonders betroffen von dieser Einsicht: hängende, nachwippende Oberarme, Längsfalten am Dekollete, Bauchfett, wo früher einfach nichts war. Und die Haut - schauder - das ist nicht meine!“ Und weiter: „Was tun? Auf innere Werte verlegen? Vielleicht zu spät - bin nicht Florence Nightingale und auch nicht Marie Curie. Nur mehr im sanften Dämmerlicht erscheinen? Vogel Strauß-Politik erscheint als einziger realistischer Weg...!“

„Auch die Oberarme brauchen Pflege!“, zischte mir die super attraktive, super gepflegte Verkäuferin in meiner Stammparfumerie irgendwann einmal zu – in einem Ton, als würde sie mir verbotene Suchtmittel anbieten. Ich starrte sie völlig entgeistert an. Fermete Lifting für den Arsch, für die Schenkel, für den Busen, den Bauch - jetzt auch noch für die Oberarme? Wenn ich für jeden alternden Körperteil einen Alchemisten beschäftige, arbeite ich doch nur noch für die chemische Industrie – sofern mir bei all dem Schmieren überhaupt noch Zeit bleibt zu arbeiten. Aber vielleicht sollte ich es mal auf einen Selbstversuch ankommen lassen? Ein Jammertal.

Um aber auf Astrid zurück zu kommen – was tun? Selbst im sanften Dämmerlicht wirft mein Arsch Schatten, ist also als Lösungsansatz nicht wirklich zu gebrauchen. Vogel Strauß-Politik im Sinne von Ignorieren ist wohl die logische Konsequenz. Wobei diese allerdings auch bedeuten würde, sich mit dem Phänomen des Alterns, seinen Begleiterscheinungen und der letztendlichen Konsequenz des Ablaufdatums nicht auseinander zu setzen. Auseinandersetzen mit einer gehörigen Portion Selbstironie und Humor und das nicht Veränderbare hinzunehmen, darauf wird es wohl hinauslaufen. Vor allem, da ich mich als Frau nie über mein Aussehen definiert habe, besser: nicht definieren konnte. Wie Astrid so treffend schrieb: Vielleicht trifft es diejenigen Schwestern stärker, die mit einem eher ansprechenden Äußeren gesegnet waren. Waren ist der Hammer, an Grausamkeit nicht zu überbieten.“

Freitag, 12. Dezember 2008

Chemische Experimente mit ungewissem Ausgang

Gibt es für eine Frau 40+ einen schrecklicheren Ort als ein Badezimmer mit Neonlicht? Höchstens noch eine Umkleidekabine mit Neonlicht. Es ist mir ein Rätsel, warum ich den Badezimmerschrank inklusive Lichtquelle nicht schon vor Jahren auf die Halde gekippt habe. Ich stehe regelmäßig an der Kippe zur Ohnmacht, und definitiv nicht nur wegen des Dampfes, der nach einer heißen Dusche in der Nasszelle hängt. Zuletzt war es der Anblick meiner linken Hand, die schlaff auf dem Waschbeckenrand ruhte, der mir mehr als Übelkeit bereitete.

Beim Zähne Putzen war mein müder Blick zufällig darauf gefallen, und ich hatte erkannt, dass schon wieder einer meiner Körperteile alt geworden war. Plötzlich war aus der Hand, die ich seit 40+ Jahren kannte und auch ein wenig schätzte, der ledrige Fingersalat einer Anderen geworden. Ich hätte jetzt natürlich einfach den Blick auf mein Spiegelbild lenken können, aber das hätte außer der drohenden Ohnmacht auch noch einen Weinkrampf verursachen können, also fixierte ich sicherheitshalber einen Cremetiegel der Preisklasse "Zumindest machen wir sie an Wunder glauben“.

20 Jahre habe ich keine Sekunde an sie gedacht, aber in letzter Zeit taucht sie immer wieder in meiner Erinnerung auf - meine verflossene Schwiegermutter in spe, eine Zicke, die ich nicht ausstehen konnte. Bei einem der gezwungenen sonntäglichen Mittagessen im Familienkreis entkam ihr bei den obligaten Tichy-Eismarillenknödel zum Dessert, die immer zu kalt gefroren waren und ständig drohten, vom Teller zu flutschen, der Satz: „Ich fühle mich wie damals mit 25, ich darf nur nicht an einem Spiegel vorbeigehen und hineinsehen.“ Abgesehen davon, dass ich bis heute davon überzeugt bin, dass sie schon mit 25 eine Zicke gewesen sein muss, muss ich der Frau bezüglich des Spiegels inzwischen aus eigener Erfahrung leider Recht geben.

Man hat endlich mal einen guten Tag, die Hose ist aus einem Material, das einem nicht den Darm abwürgt, man trägt den einzigen BH, aus dem einem nicht ständig der Busen rausrutscht, das Wetter ist manierlich, das Kind hat am Morgen ausnahmsweise nicht eineinhalb Stunden zum fertig Machen gebraucht, man hat einen angenehmen Termin vor sich, der ausnahmsweise mal Geld einzubringen verspricht, man läuft beschwingt die Straße entlang und dann – wumm! – fällt der Blick in einen Spiegel neben dem Eingang zu einer Boutique. Beispielsweise. Und der Tag ist im Eimer wie die 24 Tage zuvor. Da steht sie, ein dickliches Muttchen mit beginnenden Hängebacken, müden Augen und dünnem Haar in Schuhen, die sie vor 20 Jahren nicht einmal einer Kuh ins Maul gesteckt hätte, so hässlich da bequem sind sie. Und bequeme Schuhe machen den Schwerpunkt tiefer und frau damit noch mütterlicher als sie sowieso schon ist.

„Du hättest Verfahrenstechnik studieren sollen und nicht Journalismus“, murmelte das Sozialkonstrukt jahrelang im Badezimmer durch seinen Rasierschaum, wenn ich sorgfältig sauteure Wundertröpfchen aus einer Pipette zuerst in die Hand und dann ins Gesicht transportierte. Er bezeichnete meine Bemühungen „als chemische Experimente mit ungewissem Ausgang“, worüber ich sehr lange tatsächlich herzhaft gelacht habe. Jetzt lache ich nicht mehr.