Freitag, 29. August 2008

Post von "Contessa J."

Seit ich nun nach Wochen urlaubsbedingter Absenz bepackt mit Tonnen toskanischer Keramik und nicht getragener Fetzen (Wie alt muss frau eigentlich werden, um endlich ökonomisch zu packen?) wieder in Wien eingeritten bin, beschäftigen mich zwei Dinge: gedanklich eine e-mail von Leserin „Contessa J.“ und körperlich mindestens drei Wochen Leben ohne Aufzug. Wie in der Ehe wird auch in der Haustechnik manchmal das alte Teil gegen ein modernes Modell ausgetauscht.

2 Minuten 17 Sekunden braucht es im Durchschnitt, meinen Body mit ausgeprägtem Schwerpunkt über 180 Stufen in das Dachgeschoß zu verfügen. Eigentlich hatte ich erwartet, im vierten Halbstock aufgrund extremer Atemnot malerisch zusammenzubrechen, doch meine inneren Organe machten trotz Morbus Muratti überraschender Weise ganz gut mit. Nicht jedoch meine Oberschenkel. Sie leben derzeit in einem anhaltenden Krampfzustand – nicht wirklich überraschendes Ergebnis eines unsportlichen Lebens seit 40+ Jahren. Wer glaubt, dass verkrampfte Körpermasse weniger wabbelt, irrt. Definitiv.

„Das wirst du einmal bereuen“, antwortete mir vor Jahren eine japanische Schönheit lakonisch, nachdem ich ihr erklärt hatte, Fitness-Center hätten auf mich dieselbe Wirkung wie Krankenhäuser, sie verursachten mir schon an der Schwelle Angstschweiß (Was mich idiotischerweise jedoch nicht daran gehindert hat, entsprechende Clubs in Phasen geistiger Umnachtung vorübergehend als unterstützendes Mitglied zu finanzieren, Anm.). Nachdem schon das Etikett meines Maturakostüms in grauer Vorzeit eine plumpe deutsche 40 verriet, ging ich an das Thema sicher gelassener heran als die Kirschblüte. Sie hätte vermutlich Harakiri begangen, wenn sie ihrer französischen 36 entwachsen wäre.

Leserin „Contessa J.“, von Beruf Domina und Betreiberin einer homepage, die erfolgreich käufliche Damen 40+ (angeblich) aus der Wiener Gesellschaft vermittelt, kam nach Lektüre meiner posts zu dem Schluss, es könnte mir an Selbstwertgefühl mangeln. Vermutlich hatte sie folgender Satz aus dem Blogeintrag „Aus alt mach neu“ irritiert: „Mir wird auch regelmäßig schlecht, wenn ich meinen alternden Körper im Spiegel betrachte, doch darf mir dabei kein Mann zusehen, geschweige denn ein TV-Redakteur im Dienst.“ In ihrer charmanten e-mail aus dem sonnigen Italien, für die ich mich an dieser Stelle herzlich bedanke, schreibt Contessa J.:

„Viele der Mitarbeiterinnen sind mit wenig Selbstbewusstsein, angeknackstem Selbstwertgefühl zu mir gekommen. Nach wenigen Wochen bestätigen sie mir immer wieder, dass sie - abgesehen vom zusätzlichen Einkommen - sich ihres Wertes wieder bewusst wurden und ihnen klar wurde, dass weder ein dicker Po, noch Falten im Gesicht die Anziehungskraft auf Männer und die Ausstrahlung im allgemeinen beeinträchtigen.“

Welche Schwester auch immer ihre Fix- oder Nebenkosten in diesem Dienstleistungssektor erarbeitet, es möge ihr mit heller Freude und messbarem Erfolg gelingen. Wobei ich ersteres ernsthaft bezweifle. „Befriedigung“ verschafft dann wohl der Kontostand – Sammelbecken des „Schmerzensgeldes“, wie ich es nenne. Wobei „Schmerzensgeld“ nicht nur für den erwähnten Servicebereich zu verstehen ist, auch als Journalistin oder in vielen anderen Berufen tröstet dieses und die damit erworbenen Prada-Fetzen und Gucci-Taschen über Unbill, Zwänge, Raubbau mit der Gesundheit oder entstellende Selbstverleugnung hinweg.

Ich halte die mir vorgeschlagene sozial orientierte Behandlungs-Methode für Schwachsinn. Genauso wie ich es für völlig kurzsichtig hielt, als mir Steffi in meiner ersten Sinnkrise um die 35 erklärte, das sei nun der richtige Zeitpunkt, um ein Kind zu bekommen. Denn warum sollte ich Dinge, die ich davor aus gut überlegten Gründen nicht getan habe, plötzlich gegen besseres Wissen praktizieren? Wenn ich für mich im Kinder Kriegen einen Lebensinhalt gesehen hätte, hätte ich sie bekommen. Wenn ich es als thrilling empfunden hätte, Männer, die sich eine Frau kaufen müssen oder wollen, auf dem web-Strich zu befriedigen, hätte ich das getan – schon mit 40--.