Samstag, 1. Dezember 2007

Männer

- woher nehmen, wenn nicht stehlen?

"Mascha Bronsky, dir bleibt wirklich nichts erspart", seufzte ich innerlich und konzentrierte mich auf Olgas permanent konturierte Unterlippe, die im Augenblick Mitleid erregend bebte. Ihr juveniler Liebhaber machte sich verdächtig rar, hatte vermutlich die Vorteile jüngerer Leiber sowie die Entbehrlichkeit selbst gekochten Abendessens entdeckt, was meine beste Freundin aktuell in die Sinnkrise riss. So sehr ich auch mit ihr litt, quasi Grundvoraussetzung für eine so genannte Frauenfreundschaft, konnte ich ein leises Gefühl der Erleichterung nicht unterdrücken. Jetzt musste ich mir sicher nicht mehr regelmäßig Brandreden pro jugendliche Lover anhören, die mein ohnehin angegriffenes Nervensystem regelmäßig strapaziert hatten. Bevor Tränen flossen, orderte ich prophylaktisch eine Flasche Prosecco, bekanntlich die beste Medizin für trübsinnige Mädchen 40+, und verstand augenblicklich, warum nicht nur der Besitzer unseres Stammlokals am Naschmarkt Apothekerpreise für den laschen Italo-Import verrechnete.

"Großartig", kommentierte Lilly beim Hyänen-Treff der Woche das Ablaufdatum von Olgas Liebschaft, "dann kannst du dir endlich einen ordentlichen Mann suchen!" Mit ordentlich meinte Lilly in erster Linie ordentlich verdienend, in ordentlicher Position und mit ordentlichem Aktiendepot sowie im besten Fall auch ordentlich geschieden, was natürlich alles automatisch mit ganz ordentlichem Alter einherging. "Ich heirate nie wieder!" schmollte Olga, was Lilly mit einem verächtlichen "Wer redet denn gleich von Heiraten?" quittierte. Angesichts der monatlichen Unterhaltszahlungen, die der letzte ganz ordentliche Mann Olga regelmäßig zukommen ließ, musste ich Lilly zustimmen.

"Der Markt sieht schlecht aus, glaubt mir, meine Lieben", seufzte Susanne, pensioniert und daher auch heute wieder zu spät. Wenn Susanne, die jede Vernissage und Finissage in der Hauptstadt mit ihrer gut erhaltenen Erscheinung schmückte, zuverlässig bei jeder Premiere und Boutiqueeröffnung auftauchte, jeden Zigarrenclub von innen kannte und bereits jedes Glühweinrezept bei allen einschlägig bekannten Charity-Glühwein-Events ausprobiert hatte, zu diesem ernüchternden Befund des Beutemangels kam, schien tatsächlich Gefahr in Verzug.

Wo traf man "ordentliche" Männer? Ich grübelte in die Bubbles in meinem Proseccoglas. Bei Meetings und in der Business oder noch besser First Class der Emirates, vermutete ich, was Olga aber verwehrt bleiben würde, da sie selbst nicht an besagten Meetings teilnahm und das bei Fluggesellschaften bestehende Alterslimit für auszubildende Stewardessen vor gut und gern zwanzig Jahren überschritten hatte.

Tja, woher einen Mann nehmen, wenn nicht stehlen? Aber selbst zum Stehlen war es wohl zu spät. Die Chancen für das traditionelle Übernehmen eines ordentlichen Mannes sinken definitiv proportional zum Anstieg des Alters. Was für junge Frauen, die Cellulite noch nicht einmal buchstabieren können, zum Standardrepertoire gehört und ihnen einen "ordentlichen" Begleiter mit grauen Schläfen plus Scheidungsklage von der gut erhaltenen Ehefrau einbrachte, funktioniert jenseits der 40 nicht mehr so leicht bis gar nicht. Entsprechende Subjekte der Begierde bedienen sich heute wie damals im jugendlichen Fach. Und nimmt man lediglich den Altersunterschied zum Maßstab aller Dinge, würde das Olga unweigerlich in die Geriatrieabteilungen der vor Ort ansässigen Anstalten führen, wo wenig Unterhaltung zu erwarten war. Zumal Olga definitiv nicht auf Canasta steht.

"Magst du eigentlich Tiere?" fragte ich Olga, die bereits gefasster wirkte und etwas von Katzenallergie und Aversion gegen Hundeschlabber murmelte. Rosig gebraten auf dem Teller oder in Pelzform an ihrem Luxuskörper ließ sie gerade noch gelten. "Aber Tiger, Gnus und kleine Elefanten?" half ich ihr weiter und beschrieb in blühenden Farben die Männerdichte im Tiergarten Schönbrunn an sonntäglichen Nachmittagen. Männer, so weit das Auge reicht. Kleiner Wermutstropfen: An den Händen der Herren baumeln kleine Würmer oder sie haben Pubertätsbrocken im Schlepptau, die sie im Zwei-Wochen-Rhythmus den verflossenen Kindsmüttern abnehmen dürfen. "Alimentationspflichtig!" schallte es mir dreistimmig schrill entgegen.

Ich überlegte konzentriert, wann mir zuletzt "ordentliche" Männer aufgefallen wären, ich mehr Dreiteiler an einem Ort gesehen hatte als Turnschuhe. "Frühstück im Imperial!" rief ich triumphierend und sah drei weit aufgerissene verständnislose Augenpaare auf mich gerichtet. "Ich schwöre bei meinem Sexualleben, das ist der Tipp der Saison", krähte ich leicht enthusiasmiert, bevor mich Lillys spitzer Ellenbogen zwischen Rippe 6 und 7 zum Schweigen und ihr zwischen den perfekten Zahnreihen gezischtes "Du hast kein Sexualleben!" in die Realität zurückführte. Aber auch hier war der Tipp nicht von schlechten Eltern, wusste ich, seitdem ich zufällig frühmorgens in das Cafe der Nobelherberge gewankt war, um einem drohenden Kreislaufkollaps mit einer Tasse Kaffee zu begegnen. "Ich war dort die einzige Frau!", argumentierte ich und hatte das erste Mal an diesem Abend zumindest kurz die ungeteilte Aufmerksamkeit meiner Freundinnen. Um acht Uhr früh erinnert das Bild der im Imperial frühstückenden Dreiteiler, lediglich unterbrochen von einer roten Baseballkappe, an eine Wahlparty oder die ORF-Kantine vor oder nach einem Polit-Talk. Bekannte Manager, Anwälte und Agenturchefs grüßten artig ausgeruhte Have-Beeners aus der österreichischen Parteien- und Kammernlandschaft: "Grüß dich, servus!" schien die Standardformel. Zwischen Semmelbrösel und verschmähten Croissant-Spitzen werden Verträge über den Tisch geschoben und Details erörtert, in den Sprechpausen handyfoniert. "Und?" heischte ich nach Lob und Anerkennung, erfolglos. "Um acht Uhr früh sieht Olga aus wie 65, forget it!" maulte Lilly, und ich beschloss, mich in Prosecco zu ersäufen.

Donnerstag, 1. März 2007

Sex or no Sex?

Und wenn ja - mit wem?

"Mascha Bronsky, du siehst zum Kotzen aus", zischte ich dem alten Körper im Spiegel giftig zu in der Hoffnung, dass sich seine Haut vor Schreck zumindest kurz zusammenziehen würde. Wieder nichts. "Ab einem gewissen Alter, meine Liebe, musst du dich entscheiden, entweder Arsch oder Gesicht", jahrelang hatte ich mich an diese Lebensweisheit der Zarah Leander geklammert, mit dem Erfolg, dass inzwischen mit 40+ alle meine Backen dem Gesetz der Schwerkraft folgten. In einer halben Stunde musste ich los zum wöchentlichen Treff mit meinen so genannten besten Freundinnen, diesen Hyänen, und die Zeit reichte gerade noch, um mich in ein schwarzes Exemplar der Wonder Po-Strumpfhosen zu zwängen, die zumindest zwei Backen temporär in annehmbare Form quetschen sollte. Wie eine Kröte sprang ich im Ankleidezimmer herum, um das Foltergerät Zentimeter um Zentimeter über meine Problemzonen ziehen zu können, der Schweiß stand mir auf die Stirn und die Laute, die ich dabei ausstieß, erinnerten an Tennis-As Martina Hingis in ihrer besten Zeit. Als ich das Ding übergestülpt hatte, sah ich nicht viel anders aus als davor, nur angezogen eben, doch der Glaube, heißt es ja, versetze Berge. Mein Nachbar warf mir im Fahrstuhl irritierte Blicke zu, vermutlich dachte er, ich würde seinetwegen hecheln, doch eine andere Methode der Sauerstoffzufuhr ließ Wonder Po wie immer nicht zu.

Stolzen Schrittes und mit geradem Rücken - das Resultat von 8 cm Stuart Weitzman plus Wonder Po in Größe 1 ließ mir keine andere Wahl - lief ich in unserem Stammlokal am Naschmarkt ein. "Hör mir zu, Schätzchen", Olga saß kerzengerade auf dem Barhocker (Genau, Wonder Po!) und ihre Stimme fand im Bemühen um den Aufbau einer verschwörerischen Atmosphäre erstmals seit dem Beginn unserer unvergleichlichen Freundschaft eine Tonlage, die ausnahmsweise nicht geeignet wäre, meine Katzen mit gesträubtem Pelz die Gardinen hochzujagen: "Daniel, du weißt schon, der süße Typ mit der PR-Agentur, findet dich hinreißend. H-i-n-r-e-i-ß-e-n-d. Du musst dich einfach mit ihm verabreden." Ich spürte, wie ein kleiner Schweißtropfen seine Spur im Make-up meiner rechten Schläfe hinterließ. Wenn sich Olga etwas in den Kopf setzt, was nur im Entferntesten mit einem Mann zu tun hat, und sei es auch nur ein Exemplar, das sie einer ihrer angeblich besten Freundinnen umhängen will, entwickelt sie vorübergehend die Ausdauer eines keniatischen Langstreckenläufers mit erschreckend positiver Erfolgsbilanz. "Er ist attraktiv, erfolgreich, höchst amüsant..." - "... und mindestens fünfzehn Jahre jünger als ich. Nein, danke." Olgas akkurat gezupfte rechte Augenbraue, die sich, ich könnte wetten, aus exakt derselben Anzahl Härchen zusammensetzte wie deren linkes Pendant, hob sich gefährlich: "Du sollst doch nur mit ihm ausgehen, mehr verlangt ja niemand von dir." "Bitte, wenn sich dieser Daniel kein warmes Abendessen leisten kann, wer oder was hält dich davon ab, ihm selbst unter die Arme zu greifen?", murmelte ich böse in mein Proseccoglas, das sich wie so oft viel zu schnell leerte.

Was habe ich versäumt?", Susanne, seit kurzem pensioniert und mit einem Organizer bewaffnet, dessen Termindichte den eines Vorstandsvorsitzenden vor Neid erblassen ließe, war eingetroffen und hatte an meinem Blick für besondere Anlässe - rechtes Auge gefährlich schmal zusammengekniffen inclusive dadurch entstehenden Faltenkranz - erkannt, dass außer Prosecco noch mehr Zündstoff im Umlauf war. "Olga erträgt ihr Einzelschicksal als ältere Geliebte in unserer Runde nicht mehr und will unbedingt, dass ich denselben Fehler mache wie sie", brachte ich das Dilemma auf den Punkt und Olgas Mundwinkel zum Abstürzen. "Geht's um Daniel?" zwitscherte Susanne mit begeistertem Wimpernzucken und ließ ihre von Meisterhand gehobenen Augenlider suchend die Bar abtasten, "Ist er denn hier?" War er nicht, zumindest noch nicht, denn ein zufälliges Treffen in freier Wildbahn wäre ganz Olgas Handschrift. Ich zündete mir eine Zigarette an, bat beim ersten Zug die Freien Radikale, meine Haut nicht allzu hart anzugreifen und begann zu rechnen. Als Olivia Newton-John und John Travolta durch das ostzonal wirkende Kino meiner Jugend in Mödling tanzten, hatte Daniel vielleicht gerade das erste Mal selbständig sein Gacka ins Töpfchen gemacht. Nein, das ging sich nicht aus, seine Mutter musste damals noch Windeln waschen, oder gab es damals schon Wegwerfdinger? Keine von uns konnte sich erinnern. "Wenn ich Daniel nach Grease frage, greift er wahrscheinlich nach einer Tube Gleitcreme", unkte ich. "Jetzt bleib mal fair, Mascha Bronsky", forderte Lilly, Kennzeichnen: immer cool, rotes Haar, reicher Mann, die eben erst eingetroffen war und geduldig auf ihren ersten Wodka wartete, "wie war das damals mit deinem Arzt, diesem Kriegskind, Jahrgang 43??? Der summte wahrscheinlich "Wenn Teenager träumen" unter der Dusche und hält Grease bis heute für ein Geschirrspülmittel."

Das hatte gesessen, womit ich das Argument kulturelle Unterschiede zumindest vorerst gemeinsam mit dem Rest meiner Zigarette entsorgen musste. "Ein junger Liebhaber gibt dir Selbstbewusstsein, glaube mir, Schatz", witterte Olga Morgenluft für ihre Mission. "Sind wir uns nicht einig gewesen, dass Versicherungsfritzen und Gebrauchtwagenhändler nicht unsere Zielgruppe sind?" frage ich vorsichtig nach, denn nur ein Gebrauchtwagenhändler, dem es gelingt, eine Rostlaube als Boliden zu verkaufen, könnte für einen östrogengepeinigten oder besser gesagt von den Hormonen schnöde im Stich gelassene Körper die passenden Worte finden, um der Dame in der Bettwäsche die Furcht zu nehmen. "Nur die Liebe zählt" zwitscherte Susanne, "und die Liebe kennt keine Altersgrenzen, denk an Harold und Maude!" Ich drohte zu ersticken, weil es sich nicht verträgt, vor Schreck die Luft anzuhalten und Prosecco zu schlucken. Ganz, aber nur ganz kurz sah ich mich in meinem Allradler eine Klippe hinunterstürzen, während Daniel das Banjo spielte. "Hast du solche Freundinnen, brauchst du keine Feinde", krächzte ich und erklärte, dass ich vorhatte, mein Ablaufdatum noch einige Jährchen hinauszuzögern.