Freitag, 12. Dezember 2008

Chemische Experimente mit ungewissem Ausgang

Gibt es für eine Frau 40+ einen schrecklicheren Ort als ein Badezimmer mit Neonlicht? Höchstens noch eine Umkleidekabine mit Neonlicht. Es ist mir ein Rätsel, warum ich den Badezimmerschrank inklusive Lichtquelle nicht schon vor Jahren auf die Halde gekippt habe. Ich stehe regelmäßig an der Kippe zur Ohnmacht, und definitiv nicht nur wegen des Dampfes, der nach einer heißen Dusche in der Nasszelle hängt. Zuletzt war es der Anblick meiner linken Hand, die schlaff auf dem Waschbeckenrand ruhte, der mir mehr als Übelkeit bereitete.

Beim Zähne Putzen war mein müder Blick zufällig darauf gefallen, und ich hatte erkannt, dass schon wieder einer meiner Körperteile alt geworden war. Plötzlich war aus der Hand, die ich seit 40+ Jahren kannte und auch ein wenig schätzte, der ledrige Fingersalat einer Anderen geworden. Ich hätte jetzt natürlich einfach den Blick auf mein Spiegelbild lenken können, aber das hätte außer der drohenden Ohnmacht auch noch einen Weinkrampf verursachen können, also fixierte ich sicherheitshalber einen Cremetiegel der Preisklasse "Zumindest machen wir sie an Wunder glauben“.

20 Jahre habe ich keine Sekunde an sie gedacht, aber in letzter Zeit taucht sie immer wieder in meiner Erinnerung auf - meine verflossene Schwiegermutter in spe, eine Zicke, die ich nicht ausstehen konnte. Bei einem der gezwungenen sonntäglichen Mittagessen im Familienkreis entkam ihr bei den obligaten Tichy-Eismarillenknödel zum Dessert, die immer zu kalt gefroren waren und ständig drohten, vom Teller zu flutschen, der Satz: „Ich fühle mich wie damals mit 25, ich darf nur nicht an einem Spiegel vorbeigehen und hineinsehen.“ Abgesehen davon, dass ich bis heute davon überzeugt bin, dass sie schon mit 25 eine Zicke gewesen sein muss, muss ich der Frau bezüglich des Spiegels inzwischen aus eigener Erfahrung leider Recht geben.

Man hat endlich mal einen guten Tag, die Hose ist aus einem Material, das einem nicht den Darm abwürgt, man trägt den einzigen BH, aus dem einem nicht ständig der Busen rausrutscht, das Wetter ist manierlich, das Kind hat am Morgen ausnahmsweise nicht eineinhalb Stunden zum fertig Machen gebraucht, man hat einen angenehmen Termin vor sich, der ausnahmsweise mal Geld einzubringen verspricht, man läuft beschwingt die Straße entlang und dann – wumm! – fällt der Blick in einen Spiegel neben dem Eingang zu einer Boutique. Beispielsweise. Und der Tag ist im Eimer wie die 24 Tage zuvor. Da steht sie, ein dickliches Muttchen mit beginnenden Hängebacken, müden Augen und dünnem Haar in Schuhen, die sie vor 20 Jahren nicht einmal einer Kuh ins Maul gesteckt hätte, so hässlich da bequem sind sie. Und bequeme Schuhe machen den Schwerpunkt tiefer und frau damit noch mütterlicher als sie sowieso schon ist.

„Du hättest Verfahrenstechnik studieren sollen und nicht Journalismus“, murmelte das Sozialkonstrukt jahrelang im Badezimmer durch seinen Rasierschaum, wenn ich sorgfältig sauteure Wundertröpfchen aus einer Pipette zuerst in die Hand und dann ins Gesicht transportierte. Er bezeichnete meine Bemühungen „als chemische Experimente mit ungewissem Ausgang“, worüber ich sehr lange tatsächlich herzhaft gelacht habe. Jetzt lache ich nicht mehr.

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