Sonntag, 17. Mai 2009

Schnuckel-Alarm!

Während des gefühlten Vierteljahrhunderts Lebenszeit, das mich meine erfolglose Diät gepaart mit einer noch immer nicht ganz überwundenen Schreibblockade gekostet hat, ist doch tatsächlich der Frühling ins Land gezogen. Am Naschmarkt hat Georg seine Heizstrahler eingemottet, man kann wieder im Freien proseccieren, und die Dekolletés meiner hinreißenden Freundinnen sind wieder groß genug, um den Lockangeboten den Sichtschutz und ihren Bewunderern die Scheu zu nehmen. Es scheint wieder der saisonale Krieg der Hormone ausgebrochen, der fast alle Frauen 40+, die noch keine Gehhilfe brauchen, an die Front jagt.

Gitte hatte inzwischen den Verlust des menschlichen Versagers aus dem Online-Partner-Selbstbedienungsladen überraschend locker hingenommen, nur ihr Hormonhaushalt weinte dem Knaben noch länger nach. Also blies Gitte zur Schnuckeljagd. Einen Schnuckel, also einen Vertreter des männlichen Geschlechts, der eine Sünde wert wäre, auf einen Blick zu erkennen, ist eine Kunst, die Gitte nach Eigeneinschätzung beherrscht wie ich im besten Fall jene des Servietten Faltens. Mein Manko irritierte die Ombudsfrau aller Hormonopfer so sehr, dass sie mir eine Nachhilfestunde in Schnuckel Erkennen verschrieb. Ich war unwillig, aber chancenlos. Also klammerte ich mich Hilfe heischend an einen Spritz Aperol und blickte den Männern entgegen, die am Naschmarkt an Georgs Beisl vorbei promenierten. „Der Blonde in dunkelblau, Mascha“, forderte Gitte mit strengem Blick. Ich lugte über den nicht vorhandenen Rand meiner Brille, sah dem Männchen in die Augen und erkannte sofort den irren Blick eines Psychopathen.
„Kein Schnuckel“, urteilte ich stolz, die Übung schien gar nicht so schwierig. Gitte japste nach Luft: „Falsch, Mascha, Schnuckel erster Güte!“ Begründung gab sie mir keine, also weiter learning by doing. Es kamen die typischen gestressten Magenkranken mit Falten um die Mundwinkeln, allesamt Schnuckel, wie ich inzwischen weiß. Ein sadistischer Zug um den Mund gehört ebenfalls zu einem Schnuckel wie die Borsten am Kinn zu mir. „Aber bitte, dem sieht man doch sofort an, dass er ein Arschloch ist“, verstand ich die Welt beim geschätzten 90. Übungsmännchen wirklich nicht mehr. „Jeder Schnuckel hat etwas von einem Arschloch an sich“, flüsterte Gitte verschwörerisch und ich schwor leichten Herzens Enthaltsamkeit bis zum Eintritt ins Pensionsalter, das ich für mich mit Ende 70 erwarte.

Um Gittes Hormonhaushalt kümmerte sich inzwischen ein Prachtexemplar von Schnuckel, klassischer Vertreter mit einer Wagenladung Gel im Haar. Allein bei der Vorstellung, in die eingetrocknete Chemie zu greifen, sträuben sich mir die Haare auf den Waden. „Ist doch nur für eine Nacht“, gab sich Gitte heroisch. Ich glaube, ich müsste eine dieser Rückführungen machen, um mich wirklich an einen One-Night-Stand in meiner düsteren Vergangenheit zu erinnern. Wie Lotto Ingrisch hilft mir im Notfall aber auch eine Flasche Prosecco, um in den hintersten Ganglien meines müden Hirns die Erinnerung an den Geruch fremder Wohnungen aufsteigen zu lassen. An Bettwäsche, an die die Haut nicht gewöhnt war. An leere Männerkühlschränke und Toiletten ohne Duftpotpourri. Hausschuhe hat man dort natürlich auch keine, weshalb frau bloßfüßig über nicht perfekt saubere Böden mit zum Glück nicht näher definierten Krümeln in Richtung Badezimmer laufen muss. Wobei ich einräumen muss, dass sich die Wohnungshalter, die gemeinsam mit mir gealtert sind, heute wahrscheinlich eine Putzfrau leisten können. Ich bezweifle jedoch, dass das unter dem Strich etwas ändert.

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